Der Sachverhalt
Am Unfalltag fuhr der Motorradfahrer auf der Straße, als auf der rechten Straßenseite ein PKW rückwärts aus einer Parkbucht ausparkte. Dabei kam es zur Kollision mit dem Motorradfahrer. Dieser wurde am Fuß schwer verletzt. Aufgrund der schweren Fußverletzungen erfolgte eine distale Unterschenkelamputation. Der Motorradfahrer trug zum Unfallzeitpunkt u.a. einen Motorradhelm, eine Motorradjacke, Motorradhandschuhe, eine Arbeitshose und Sportschuhe.
Mit seiner Klage machte der Motorradfahrer u.a. ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 45.000,00 EUR und weitere Schadensersatzansprüche in Höhe von 12.588,29 EUR geltend. Das Landgericht erklärte die Klageanträge für gerechtfertigt und führte dazu aus, dass der Autofahrer zu 100 % haften würde. Die Betriebsgefahr des klägerischen Motorrades sei aufgrund des schwerwiegenden Verkehrsverstoßes des Autofahrers völlig zurückgetreten.
Gegen dieses Urteil legte der Autofahrer Berufung ein. Der Kläger müsse sich ein erhebliches Mitverschulden gegen sich selbst entgegenhalten lassen, da zum Unfallzeitpunkt bereits ein allgemeines Bewusstsein bestanden habe, dass das Tragen von geeigneten Schuhen notwendig sei, um schwere Unfallfolgen zu vermeiden. Hätte der Kläger statt leichter Sportschuhe Motorradstiefel getragen, wäre es nicht zu den schweren Fußverletzungen gekommen. Daher seien die Ansprüche des Klägers um mindestens 50 % zu kürzen.
Die Entscheidung
Nach Entscheidung des OLG Nürnberg gäbe es jedenfalls derzeit kein allgemeines Verkehrsbewußtsein, dass das Tragen von Motorradschuhen zum eigenen Schutz eines Motorradfahrers erforderlich sei. Daher sei ein Mitverschulden eines verletzten Motorradfahrers, der im Unfallzeitpunkt Sportschuhe trug, aus diesem Grunde zu verneinen. Der Senat wies die Berufung zurück.
Allgemeines Verkehrsbewusstsein
Allerdings sei ein Mitverschulden des Verletzten auch ohne das Bestehen gesetzlicher Vorschriften bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege. Er müsse sich "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimme, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Danach würde es für eine Mithaftung des Klägers ausreichen, wenn das Tragen von Motorradschuhen durch Motorradfahrer zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war (BGH NJW 1979, 980). Ein solches allgemeines Verkehrsbewusstsein vermochte der Senat nicht zu erkennen.
Welche Motorradschuhe sind die Richtigen
Hierbei sei schon nicht vorgetragen oder ersichtlich, auf welche Art von Motorradschuhen sich dieses Bewusstsein beziehen solle. Bei Motorradschutzbekleidung als solche mag dies eine aus Kevlar, Lederimitat, dickem Leder oder ähnlichem Material sein. Bei Motorradschuhen könnten diese aus dünnem oder dickem Leder oder Lederimitat bestehen. Die Schuhe könnten in bestimmten Bereichen (Zehen/Knöchel) durch Plastik oder Metallteile verstärkt sein oder auch nicht. Evtl. könnte die Schutzfunktion auch durch andere Schuhe erfüllt werden, wie z. B. durch Arbeitsschutzschuhe oder hohe Wanderschuhe. Schon diese Vielfalt spreche gegen ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz bei Schuhen, da völlig unklar bleibe, welcher Standard das Verkehrsbewusstsein prägen soll.
Die Vorinstanz habe mit zutreffender Argumentation ein solches Bewusstsein verneint. Dem schloss sich der Senat an. Deshalb könne dahinstehen, ob beim Tragen von Motorradstiefeln (welche?) die Verletzungen des Motoradfahrers nicht oder nicht so gravierend entstanden wären.
Rechtsgrundlagen:
§ 7 StVG, § 17 StVG, § 18 StVG, § 254 Abs 1 BGB, § 823 Abs 1 BGB
Gericht:
Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 09.04.2013 – 3 U 1897/12
Quelle: OLG Nürnberg | Rechtsindex – Recht & Urteil