Rad-Geisterfahrer kollidiert mit Auto: Wer haftet?

Radweg in falscher Richtung benutzt

Eine junge Frau wollte mit dem Kfz ihres Vaters ein Grundstück verlassen. Bevor sie auf die Straße abbiegen konnte, musste sie aber noch quer über einen Geh- und Radweg fahren. Der Radweg war nur für eine Fahrtrichtung freigegeben – wer in die entgegengesetzte Richtung radeln wollte, musste also die Straßenseite wechseln. Die Autofahrerin tastete sich nach eigenen Angaben langsam vor und vergewisserte sich durch mehrere Blicke nach rechts und links, dass sich weder Fußgänger noch Radler in der Nähe befinden. Als sie über den Radweg rollte, krachte es: Ein Radler war rechts gegen die Beifahrertür des Pkw gestoßen. Der Eigentümer des Kfz verlangte von dem "Biker" daraufhin Schadenersatz. Schließlich sei der auf dem Radweg als Geisterfahrer unterwegs gewesen. Seine Tochter habe ihn - obwohl sie sich sehr vorsichtig verhalten habe - daher nicht sehen können und müssen. Wäre er ordnungsgemäß auf der anderen Straßenseite entlanggefahren, hätte die Kollision vermieden werden können. Als der Radler jegliche Zahlung verweigerte, zog der Kfz-Eigentümer vor Gericht.

Beide Unfallbeteiligte müssen haften

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe kam zu dem Ergebnis, dass sowohl der Radler als auch die Autofahrerin den Unfall verschuldet haben. Der Radler musste daher auch nur 50 Prozent des entstandenen Schadens tragen. Verkehrsverstöße des Radlers Der Radler hat den Radweg in falscher Richtung befahren, als es zur Kollision mit dem Auto kam. Darin war ein Verstoß gegen § 2 IV 4 Straßenverkehrsordnung (StVO) zu sehen. Ist ein Radweg nämlich nur für die Fahrtrichtung des fließenden Verkehrs freigegeben, durch ein Verkehrsschild oder eine Straßenmarkierung, darf man ihn auch nur in dieser bestimmten Richtung nutzen – ansonsten wird man zum Geisterfahrer. Wer in die entgegengesetzte Richtung fahren möchte, muss daher den Radweg auf der anderen Straßenseite nutzen. Hinzu kam ein Verstoß des Rad-Geisterfahrers gegen § 1 II StVO. Als Verkehrsteilnehmer muss man nämlich darauf achten, andere durch sein Verhalten nicht zu gefährden oder zu belästigen. Man muss aufmerksam auf den umliegenden Verkehr achten, um rechtzeitig auf Gefahren oder plötzlich auftauchende Hindernisse reagieren zu können. Vorliegend hätte der "Biker" das Kfz problemlos erkennen, unverzüglich bremsen und so den Unfall vermeiden können. Stattdessen ist er einfach weitergefahren. Verkehrsverstoß der Autofahrerin Die Autofahrerin war an dem Unfall ebenfalls nicht ganz unschuldig. So hatte sie ihre Pflichten beim Ein- und Ausfahren nach § 10 StVO verletzt. Verkehrsteilnehmer müssen nach dieser Vorschrift nämlich jegliche Gefährdung anderer vermeiden. Wenn man nichts sieht, muss man sich notfalls von Dritten einweisen lassen. Auch muss man sich langsam vortasten und seine Abbiegeabsicht durch Setzen eines Blinkers anzeigen. Ferner hat man dabei die Vorfahrt anderer - seien es Fußgänger, Radler, Motorrad- oder Autofahrer - zu beachten und zu gewähren. Vorliegend hat die Autofahrerin die Vorfahrt des "Bikers" missachtet, als sie das Grundstück verließ. Zwar war der Mann mit seinem Drahtesel in falscher Richtung unterwegs - dennoch hätte die Autofahrerin ihn zuerst passieren lassen müssen, bevor sie ihren Abbiegevorgang fortführt. Autofahrer müssen gerade bei der Ausfahrt aus einem Grundstück damit rechnen, dass sich Fußgänger und Fahrradfahrer sowohl von links als auch von rechts nähern - selbst wenn ein Geh- oder Radweg nur für eine Richtung freigegeben ist. Bei Sichthindernissen muss man besondere Vorsicht walten lassen, anstatt einfach "draufloszufahren". Das Gericht ging davon aus, dass die Autofahrerin durch den fließenden Verkehr abgelenkt war und deshalb den Radler übersehen sowie ihm die Vorfahrt genommen hat. Neben dem Verschulden seiner Tochter musste sich der Kfz-Eigentümer noch die sog. Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zurechnen lassen, also die Gefahr, die von einem Auto allein durch den Betrieb ausgeht. Letztlich konnte er daher nur 50 Prozent seines Schadens ersetzt verlangen. Gericht: Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 29.03.2016 - 9 U 103/14